Dr. Antje Lechleiter, Eröffnungsrede April 2011
Secuencias – Gabriela Stellino und Herta Seibt de Zinser.
Malerei und Skulpturen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Herta Seibt de Zinser und Gabriela Stellino stellen heute zwei südamerikanische Künstlerinnen hier in der March aus. „Secuencias“ – also Sequenzen lautet der Titel dieser Ausstellung. Obgleich wir es mit zwei Kunstgattungen – nämlich mit Malerei und Skulptur – zu tun haben, sehen wir keine zwei getrennten Ausstellungen an einem Ort. Beiden Künstlerinnen geht es nämlich im Wesentlichen um die Themen Bewegung und Veränderung. Selten habe ich erlebt, dass sich die Werke von zwei unabhängig voneinander arbeitenden Künstlerinnen in einer Ausstellung vergleichbar überzeugend zu einem Ganzen zusammenschließen.

Herta Seibt de Zinser wurde in Lima, Peru geboren und übte dort nach ihrem Studium eine Lehrtätigkeit für Kunst und Keramik aus. Sie lebt aber seit vielen Jahren in Freiburg und hat seit Oktober 2004 ihr Atelier im Freiburger E-Werk.

Mitte der 80er Jahre begann die Künstlerin zunächst im figürlichen Bereich mit Metall zu arbeiten. Dann kombinierte sie diesen Werkstoff mit Wolle und auch mit Keramik. Inzwischen arbeitet Herta Seibt de Zinser mit unterschiedlich dicken Eisenrohren, die unter großer Hitze gebogen werden. Die einzelnen Abschnitte werden mit einem Stecksystem verbunden, wobei die Nahtstellen weitgehend unsichtbar bleiben. Die absolute Perfektionierung dieses Biegevorganges macht es möglich, dass wir den Verlauf der Rohre als fließende Bewegung wahrnehmen, keine Knicke oder Kanten stören unser Auge beim „Begehen“ der räumlichen Struktur. Diese Skulpturen sind ungemein dynamisch, sie formulieren eine Bewegungslinie im Raum. Die Ausrichtung der Arbeiten ist flexibel, je nach Drehung der einzelnen Abschnitte kann ein und die selbe Skulptur ganz unterschiedlich aussehen. Entsprechend dem Ort der Aufstellung erleben wir also verschiedenste Erscheinungsformen. Am Anfang hat die Künstlerin zwar eine Idee, aber keinen vorgegebenen Entwurf. Die Skulptur entsteht im Atelier aber auch während des Aufbaus und nimmt Bezug zur Stelle, an der sie stehen soll. Dies ist zentraler Bestandteil des Konzeptes, hier im Außenbereich beispielsweise sollen die Werke die Form von Bäumen und Büschen aufnehmen oder auch mit der vorhandenen Architektur kommunizieren. Überdies verändern sich die Objekte beim Umrunden – auch wir müssen uns bewegen, damit sich die Skulptur bewegt. Und wie sie sich dann bewegt! Es ist faszinierend, wie sich diese Gebilde immer an der Grenze des Gleichgewichtes entlang tasten. Man das Gefühl, als würden die Arbeiten fast schon schweben, und man erlebt gleichzeitig die Diskrepanz zwischen dem spröden, schwer zu biegenden Stahl und der heiteren Leichtigkeit der Skulptur. Dieses Spiel mit dem Gleichgewicht ist sehr wichtig, nicht umsonst hat Herta Seibt de Zinser in ihrem Film „Lineas“ die Choreografie eines Tanzes mit einer sich verändernden Skulptur verbunden. Ich habe vorhin von verschiedenen Erscheinungsformen der Skulpturen gesprochen, vielleicht wäre aber der Begriff der Metamorphose fast treffender. Es fällt nämlich auf, dass sich ihre Titel stark an pflanzlichen Strukturen orientieren: Frutto, Flor, Hoja und Semilla also Frucht, Blüte, Blatt und Samen. Tatsächlich fällt im Vergleich mit den eher strengen, geometrischen Formen, die noch in der Gruppe der „Lineas“ um das Jahr 2000 herum dominierten auf, dass Herta Seibt de Zinsers Gestaltungen organischer geworden sind. Ganz zweifellos ist die Natur ein wichtiges Vorbild. Die durch äußere Reize hervorgerufene Veränderung von Samen, Blüten und Früchten, das Wachstum von Stängeln und Blättern, das was in der Botanik als „Phyllotaxis“ bezeichnet wird, mag man damit verbinden. Dennoch sehen wir kein Abbild dieser natürlichen Prozesse. Wir erleben nur eine vergleichbare Idee von Bewegung und Veränderung.

In den ausgestellten Werken zeigt Herta Seibt de Zinser, dass Kunst eine sinnliche Erfahrung ist und nicht nur den Verstand ansprechen soll. Die Größe ihrer Objekte lässt etwas Besonderes entstehen, nämlich das Gefühl, man könnte sich theoretisch in die Skulptur hineinbegeben und an ihrer Veränderlichkeit teilhaben. In diesem Sinne sind ihre Arbeiten nicht nur Skulpturen, sie können als Installationen oder Objekte angesprochen werden, und sie verlangen förmlich nach der Interaktion im Rahmen einer Performance.
Gabriela Stellino wurde in Argentinien geboren und besuchte in Buenos Aires die Staatliche Hochschule für Bildende Kunst. Nach Abschluss des Studiums ging sie zunächst nach Brasilien, 1997 kam sie schließlich nach Deutschland. Sie lebt in Riegel und unterrichtet neben ihrer freien künstlerischen Arbeit an der Akademie für Kommunikation in Freiburg. Das was Sie heute in dieser Ausstellung erleben, benötigte eine lange Vorbereitungsphase von mehreren Jahren. Denn die hier ausgestellten, kleinformatigen Landschaftsaquarelle sind Grundlage für einen Trickfilm, den wir gleich im Anschluss an meine Einführung sehen werden. Und wie ist dieser entstanden? Nun, Gabriela Stellino machte zunächst kleine Skizzen in der Natur, die sie mit den formal wichtigen Hinweisen beschriftete (oben zu sehen). Dann entstanden die hier auf dieser Etage ausgestellten Aquarelle, welche die Veränderung der Landschaft zum Thema haben. Diese Aquarelle bilden wiederum die Grundlage für den in technischer Hinsicht ganz klassisch hergestellten Trickfilm. Warum ganz klassisch? Nun, diese Filme werden nicht Computer-animiert, sondern wurden Bild für Bild eben in Aquarelltechnik gemalt, und es findet auch keine digitale Nachbearbeitung statt. Jede Sequenz besteht aus ca. 150-200 Aquarellen, die eine zusammenhängende Folge bilden. Frau Stellino spricht daher weniger von einem Trickfilm, als von bewegter Malerei. Der gesamte Film trägt den Namen „Belebte Bilder“, dauert 30 Minuten und besteht aus sieben Folgen. Hier in der March sind Werke zu den drei Sequenzen „Grenzen der Sichtbarkeit“ (2002), „Zypressen 2“ und „Bahia“ (2008) zu sehen. Wenn Sie im Anschluss an die Eröffnung die Filmsequenzen zu den Aquarellen sehen, werden Sie merken, dass sich die Bilder während des Filmes ganz, ganz langsam verändern. Bergrücken oder Baumspitzen geben beispielsweise bei „Grenzen der Sichtbarkeit“ eine Horizontlinie an, die darüber stattfinden Veränderungen sind so fein, dass man sich intensiv auf den Ablauf konzentrieren muss. Die Dynamik beschränkt sich wirklich auf minimale Veränderungen, die immer direkt aus der Natur kommen. Wir erleben den Wechsel von Licht und Schatten, das Vorüberziehen von Wolken, das Aufkommen von Nebel oder auch das Verschwinden von Bestandteilen der Natur. Menschen kommen in diesen, übrigens hier aus der Region stammenden Landschaften nicht vor. Die Farbigkeit beschränkt sich auf Grauwerte, dunkles Blau und Schwarz, selten treten rote Akzente hinzu. Es wird nichts erzählt, der Film berichtet nicht vom Wechsel der Jahreszeiten, von einem Sonnenaufgang oder dem Heraufziehen eines Gewitters. Statt dessen erleben wir immer den gleichen Blick auf die gleiche Landschaft, und nur die sich ganz allmählich vollziehenden Bewegungen geben einen Rhythmus vor. So bilden Malerei und Film kein Abbild der Wirklichkeit, es besteht lediglich so etwas wie eine Beziehung zur Realität. Entsprechend offen sind Bilder und Film, die Veränderungen könnten sich endlos fortsetzen, es gibt kein Anfang und kein Ende. Und so ergibt sich die Wahl der Aquarelltechnik auch ganz logisch. Es geht nicht um fotografisch oder grafisch genau festgehaltene Details, sondern um den inneren Charakter einer Bewegung, die den Film zum Leben erweckt. Der argentinische Pianist Fernando Viani hat die Musik zum Film komponiert, und Sie werden nachher gleich merken, dass sich Musik und Malerei kongenial verbinden. Mit einer Art von Drehbuch hat er die Dinge, die im Film eben „passieren“, Stück für Stück entsprechend den Szenenbeschreibungen in Musik umgesetzt. Wir hören gleich also keine Improvisation über Malerei, sondern eine Komposition für Bilder.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe bereits am Beginn meiner Rede darauf hingewiesen, dass ich selten ein so intensives Ineinandergreifen von zwei künstlerischen Positionen in einer Ausstellung erlebt habe. Abschließen will ich meine Einführung daher mit einem schönen Zitat von Peter Sitte, der unter dem Titel „Leben und Verwandlung“ einen Katalogtext für Herta Seibt de Zinser geschrieben hat. Ich denke, dass diese Worte auch für die Werke von Gabriela Stellino Gütigkeit haben.

„Der Lauf der Zeit wird uns nur erkennbar durch Erscheinungen, die sich wandeln, sich mit der Zeit verändern. Alles Starre, Unveränderliche lässt uns die Zeit nicht spüren, wir verleihen ihm Attribute des Bleibenden, Immerwährenden, Ewigen. In diesen Bereich gehört das Leben nicht: Alles Lebende verwandelt sich ständig“.