Bettina Schulte
Broschüre TRONCO, Januar 2015
Dieses Kunstwerk lädt nicht zum Betrachten ein. Man kann es nicht in den Blick nehmen. Es sprengt die Dimension einer stationären Perspektive. Es fordert dazu auf, es es zu umgehen, zu umrunden, von verschiedenen Seiten aus in den Blick zu nehmen. Es ist ein Angebot zur Aktion, nicht zur Reaktion, zur Rezeption. Herta Seibt de Zinser hat mit „Tronco“ eine Art soziale Plastik geschaffen. Ein riesengroßes verästeltes Wunderding aus gebogenem Eisenrohr, sechszehn Meter lang und acht Meter breit: mit spitzen Schlaufen und weichen Kurven, mit zickigen Schlingen und schönen Rundungen: Etwas Anthropomorphes haftet dem Gebilde an – oder sagen wir: etwas Menschenfreundliches, Leichtes, Schwingendes. „Tronco“ – der Name leitet sich vom spanisch-italienischen Wort für „Baumstamm“ ab und klingt fast zu massiv für diese raumgreifende Skulptur – möchte nicht für sich sein, das spürt man, die Plastik nimmt Kontakt zu ihrer Umgebung auf, weil sie durchlässig ist, nicht raumverdrängend, sondern raumöffnend. Man hat Herta Seibt de Zinsers Stahlskulpturen schon oft nachgesagt, dass sie tanzen.
Und das ist genau der erste Eindruck: Egal wo sie sich gerade befinden, ob im Kurpark eines Herzzentrums oder vor einer Barockkirche im Schwarzwald: Sie bringen ihr Umfeld zum Schwingen. Mit ihrer bisher größten Arbeit geht Herta Seibt de Zinser noch einen entscheidenden Schritt weiter. Auch der Betrachter darf sich in Bewegung gesetzt fühlen, wenn er die Skulptur nicht nur ansieht, sondern ihren Windungen folgt: sie erkundet, indem er sie durchquert, unter den Rohren durchschlüpft oder sich an ihnen vorbeiwindet, sie mit dem Körper und nicht nur mit dem Auge wahrnimmt.
„Tronco“ weist konsequent über sich und das Terrain der bildenden Kunst hinaus in den Bereich der Darstellung, der Performance. Das ist die Botschaft, der Sinn, das Ziel dieser Installation: in einen kommunikativen Zusammenhang zu treten mit anderen Künsten. In Herta Seibt de Zinsers Kunst ist dieser Dialog schon angelegt. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass er mit und durch „Tronco“ jetzt auch zustande kommt: Dass der seit je nach künstlerischer Grenzüberschreitung suchende Geiger Harald Kimmig, der sich dem Tanz besonders nahe fühlt und in einem legendären Duo mit dem japanischen Tänzer Hideto Heshiki gezeigt hat, wie nahe ein Musiker und ein Bewegungskünstler einander kommen können, sich gemeinsam mit dem Percussionisten Olaf Tzschoppe von diesem Projekt inspirieren lässt, passt ins Bild.
In der programmatischen Eröffnungsperformance kommt so die Musik mit der Bildenden Kunst (neben Herta Seibt de Zinser der Maler Herbert Maier) und dem Tanz (Compagnie Huppée) zusammen. Ebenso stimmig ist das Kunstprojekt, das Sigrun Fritsch, Leiterin des Freiburger Aktionstheaters Pan.optikum, mit Schülern der Emmendinger Fritz Boehle Werkrealschulde, dem Jugendtreff Bürkle-Bleiche in Emmendingen, der Angell-Schule in Freiburg und anderen Jugendlichen seit Oktober in Szene setzt. Neun Tage lang wird das E-Werk zum Schauplatz eines die Grenzen zwischen den Genres der Kunst, zwischen Stillstand und Bewegung, Wahrnehmung und Aktion, Werk und Performance überschreitenden Experiments.
Die gebürtige Peruanerin Herta Seibt de Zinser geht im Zusammenspiel mit anderen Künsten ganz neue Wege – und dass dieser starke Impuls für die Kulturszene Freiburgs von der Bildenden Kunst ausgeht, mag auch ein Zeichen setzen für die Zukunft des E-Werks als einem kulturellen Zentrum, das unter seinem Dach alle Kunstsparten nicht nur vereint, sondern zwischen diesen auch in einen Dialog anzuzetteln vermag. Eine schöne Vision.