Hans-Dieter Fronz,
Badische Zeitung, Dezember 2006

Linien schwingen im Raum
“Transformaciones”: Herta Seibt de Zinsers bewegliche Raumplastiken
im Freiburger E-Werk

Die reine Linie, abstrakt und ohne gegenständliche Anmutung – jedoch nicht zweidimensional auf einem kleinformatigen Blatt Papier, sondern weit ausholend und -schwingend im Raum: Das ist Herta Seibt de Zinsers plastische Kunst. Die wie von Geisterhand in den Raum gezogenen Linien, wie sie die große Halle im Freiburger E-Werk fast buchstäblich füllen, wirken in ihrer tänzerischen Dynamik schwerelos – auch wenn sie aus massivem Eisenrohr mit einem Durchmesser von 21 Millimeter sind.

Begonnen hat die Freiburger Künstlerin mit peruanischen Wurzeln vor bald zehn Jahren mit geometrischen Schöpfungen. Ihre Mobilität verdankten diese früheren “lineas” geschmiedeten Steckverbindungen, die eine Drehung jedes der drei Teile, aus denen sich eine Figur zusammensetzte, um 360 Grad ermöglichten. Als Reminiszens an das plastische Frühwerk empfängt den Besucher jetzt eine dieser geometrischen Formen nahe dem Eingang. Ihr beigegeben ist ein Film auf einer Videoleinwand: Eine Tänzerin agiert mit einer der Figuren im leeren weißen Raum. Die Choreografie fußt auf der Freiheit und Wandelbarkeit der Plastik.

Noch ungebundener muten die jüngeren Arbeiten der Ausstellung an, Frucht der beiden letzten Jahre seit Herta Seibt de Zinsers Rückkehr aus Lima. Auch sie sind mittels Steckverbindungen beweglich, sind in gewisser Weise Mobiles, wie sich an denmannigfachen Metamorphosen oder (so der Ausstellungstitel) “Transformaciones” der Figuren ablesen lässt, die zu einer minimalistisch-fließenden Komposition von Phillip Glass über eine Videoleinwand flimmern. Ungebundener als die älteren Arbeiten muten sie an, weil die Formensprache nicht länger ins Prokrustesbett der Geometrie gezwängt ist, sondern sich nach eigener Gesetzmäßigkeit organisch artikuliert.

Sind die in der Halle aufgebauten Plastiken äußerlich unbewegt, so ist ihnen Dynamik gewissermaßen immanent. An einer Stelle aus dem Boden wachsend, entwickeln sie sich als bewegte, geschlossene Linie – oder enden frei im Raum. Gelegentlich münden sie in der Wand. Weich geschwungene Linien setzen leise Anklänge ans Florale oder Vegetative; dagegen gemahnt eine der Plastiken an Louise Bougeois’ riesige Metallspinnen. Die neueren Arbeiten sind auch plastischer Erkundungen des Raums. In erster Linie freilich sind sie Ausdrucksfiguren. Ihr Ausdruck aber ist der von Freiheit. Er gibt ihnen die tänzerische, artistische Note. Es ist, als würden wir Zeuge, wie sich ein Gedanke, eine Emotion zwanglos im Raum materialisiert.