Jeremías Gamboa Cárdenas,
Katalog “Transformaciones” 2006

Transformaciones


Seit ihrer ersten Einzelausstellung, die 2001 in Lima in der Galería Forum gezeigt wurde, hat die peruanisch-deutsche Künstlerin Herta Seibt ihr kreatives Schaffen, das sich in gewisser Weise in einem begrenzten Gebiet abspielt, konsequent und kraftvoll weiterentwickelt. „Líneas“, Linien, die erste Ausstellung, die sie einem peruanischen Publikum präsentierte, zeigte bereits deutlich die wichtigsten Grundzüge ihrer Arbeiten: Auf die gleiche Weise, in der sie heute die Objekte im E-Werk unter dem Titel „Transformaciones“, Verwandlungen, zeigt, befanden sich diese „móviles“, diese beweglichen Skulpturen der bemerkenswerte Persönlichkeit aus Lima – Ensembles aus Eisen, dessen Teile durch den Eingriff des Betrachters verändert werden können – in einem fragilen Zustand hinsichtlich der unterschiedlichen künstlerischen Praktiken.

Erscheinen sie zunächst während des Wahrnehmungsprozesses wie Zeichnungen und dann wie Skulpturen, als in spezifische Räume installierte Objekte, die nach einer körperlichen Interaktion verlangen, und deshalb zugleich wie Gelegenheitsobjekte von „Performances“, als welche sie darüberhinaus von der Künstlerin eingesetzt werden.

Eine der ersten Überraschungen, die das Werk von Herta Seibt aus gewisser Distanz hervorruft, ist, dass sie den Betrachter mit einem Entwurf konfrontiert, der mehr den Lösungen einer zweidimensionalen Zeichnung entspricht, oder, auf den zweiten Blick, mit „einer Zeichnung im Raum“. Dieser erste Eindruck, der an einen Entwurf erinnert, den man als eine Chiffre des Universums empfinden könnte – und der das Werk von Herta Seibt an peruanische Maler wie Armando Williams annähert –, verdankt sich der Unterwanderung vieler der Eigenschaften des Trägermaterials. Obwohl es sich um Eisenrohre von 21 Millimeter Durchmesser und vier Millimeter Dicke handelt, die nur unter großer Hitze gebogen zu werden vermögen, wirken sie im Raum wie eine Choreographie von schwerelosen Skulpturen mit sowohl abstrakten – wie in dem Fall der „líneas“ – als auch organischen Reminiszenzen. Sie verbreiten sich wie sehr leichte Ströme aus einem seltsam fremden Organismus. Eine subtile Entwicklungsgeschichte scheint sich offenbar aufzudrängen: im Laufe der Zeit haben die „líneas“, die Linien, den „semillas“, den Samen, und diese den „frutos“, den Früchten und den „hojas“, den Blättern, Platz gemacht. Das Werk von Herta Seibt breitet sich auf originäre Weise wie ein wirkliches organisches Wesen aus und offenbart denjenigen, die seine Entwicklung verfolgen, die Metapher eines vitalen biologischen Zyklus. Die Entstehung der plastischen Sprache und die den Objekten eingeborene Entwicklung schwingt sich vom Nichtorganischem hin zum organisch Lebendigen.

Diese besondere Eigenschaft der Objekte findet ihre kraftvolle Entsprechung in der Dynamik, in die sie den Raum oder die Räume, in die sie eingreifen, versetzen. Die Objekte von Herta Seibt verändern sich je nach der Beschaffenheit der Architektur selbst in einem Prozess, der nicht im eigentlichen Sinne ein installativer ist, jedoch viele seiner Eigenschaften vereinigt. Im Jahr 2004 beispielsweise schrieben sich die „semillas“ von Herta Seibt kühn in die massige, mächtige Architektur des Museo de la Nación in Lima ein. Mit den kleinen Löchern in den monumentalen Betonmauern des Gebäudes, gingen die „líneas“ feine, wie haarförmige Resonanzen ein und ließen sie wie organische Ausströmungen der museumseigenen Struktur erscheinen. Die Arbeiten sprechen außerdem in Verbindung mit der „Performance“ von Tänzerin Mirella Carbone, die über den physischen Raum der Ausstellung hinausweist, unsere verschiedenen Sinne an; sie arbeitet oft mit der Künstlerin zusammen. Diese „Verwandlung“ der Skulptur in ein Objekt, das in unbedingter Beziehung zu den körperlichen Voraussetzungen von demjenigen steht, der mit ihnen interagiert, wird auf wunderbare Weise in einem der Videos betont, das die gegenwärtige Ausstellung begleitet: als eine abstrakte zweidimensionale Zeichnung und als wandelbares Objekt anverwandelt sich das „móvil“ zum menschlichen Körper und spektakulären Material, das den Gemütszuständen einer Person eignet. Schließlich, wenn wir uns das andere Video dieser Ausstellung vor Augen führen – in dem das eigentliche Objekt für Momente seinen selbständigen Wert zu verlieren scheint – , vermögen wir daraus abzuleiten, dass sich das Objekt ausgelöscht und sich auf eine Weise wie wirkliche lebende Organismen in eine kinetisch unabhängige Form verwandelt hat.

Die besonders weiträumige Halle des E-Werks bietet Herta Seibt die Gelegenheit, eine ihrer radikalsten Lösungen im Raum zu realisieren, indem sie ihn vollständig auf seine Tragfähigkeit und die Ausstrahlungskraft ihrer Skulpturen hin abstimmt und neu konfiguriert. Der Grad an Souveränität im Werk von Herta Seibt könnte also nicht höher sein, auch wenn „Verwandlungen“ wie der Titel selbst sagt, die Betonung auf den Prozess und nicht so sehr auf die eigentlichen Objekte legt. Wir stehen also vor einem im Werden begriffenen künstlerischen Vorschlag, der so wandlungsfähig und fließend ist wie die Wandlungsfähigkeit und die Flexibilität unserer eigenen Vitalität selbst. So als ob das Kunstwerk eine lebendige Ausdehnung unserer selbst wäre.