Manuel Kreitmeier, Kulturjoker, Dezember 2006
Transformaciones
Herta Seibt de Zinsers Plastiken im Freiburger E- Werk
Wenn man die große Halle im Freiburger E- werk derzeit betritt, begegnet man Skulpturen eigenartiger Kraft. Figuren, die wie mit einem Strich gefertigte Zeichnungen in der Luft zu schweben scheinen. Liniengebilde wie Kaligrafien aus Einsenrohren mit der Leichtigkeit von filigranen Blättern oder Blumen. Semillas (Samen), Lineas (Linien), Frutos (Früchte), Flores (Blumen) und Hojas (Blätter) heißen dann auch die schwerelosen Plastiken der peruanisch-deutschen Künstlerin Herta Seibt de Zinser, die sowohl die Grenze von Zeichnung und Skulptur, wie von Installation und Performance zum Verschmelzen bringen.
Zwei großformatige Videoeinrichtungen begleiten die Ausstellung. Hier wird die feste Installation als lebendiges Objekt präsentiert. Die Tänzerin Mirella Carbone eignet sich das Objekt als Teil ihrer Bewegungen an. Es wird aber auch zum statischen oder veränderbaren Haltepunkt tänzerischer Akrobatik. Auf der anderen Videopräsentation zeig Herta Seibt ihre Skulpturen in schneller Schnittfolge aus jeweils anderer Perspektive und Ausrichtung und verdeutlicht was der Titel der Ausstellung besagen soll: Transformaciones: Die Wandelbarkeit des Stofflichen. Wir sehen nicht viele Objekte. Die Künstlerin ist der Versuchung entgangen die große Halle des E-Werks zu überlasten. Stattdessen ist der Raum selbst Teil der Installation.
Die Objekte aus 21 Millimeter dicken Eisenrohren, die unter Einwirkung großer Hitze verformt wurden, wirken wie dreidimensionale Zeichnungen vor weißer Wand, deren Schattenspiel ein zentraler Teil ihrer Stofflichkeit bildet, die immer auch eine Auflösung und Verwandlung ist, da sie sich mit dem Standpunkt und dem Eingriff des Betrachters verändert. Herta Seibt, die zwischen Freiburg und Lima zuhause ist, ist eine Künstlerin dieser verschiedensten Einflüsse. Ihre Linienführung erinnert bisweilen an die radikalsten Vereinfachungen in den Werken Matisses, wie auch an die rätselhaften Geoglyphen der Nasca Kultur, den 1926 südlich von Lima entdeckten Scharrzeichnungen. Gerade in ihrer Einfachheit bewegen die Figuren, und ein Besuch der Ausstellung ist wie ein Gang durch eine eigene Welt. Die geschwungenen Eisenrohre, bestehend aus jeweils drei zueinander beweglichen Teilen, sind so gestaltet, dass sie selbst jeweils umgeformt werden können.
Das bewirkt ihre Lebendigkeit und lässt sie zu eigenen Organismen werden, die durch ihre Vitalität und Fragilität beeindrucken. Doch ihre Arbeit hat die Künstlerin zu einem viel weitreichenderen Kunstverständnis geführt. Ihre Objekte sollen Kräfte- und Wärmeverhältnisse, Beziehungen und gesellschaftliche Strukturen des Lebens an sich erfahrbar machen. Liest man nach dem Besuch der Ausstellung im Gästebuch, dann ist man von soviel Resonanz beeindruckt. Dass Werke von solcher Einfachheit die Komplexität menschlichen Erlebens offen legen können, zeig eine Rückführung der Kunst zum einfachsten und deshalb vielleicht weitreichendstem Ausdruck.